Mußbacher Mäher

aus: "Mußbach an der Deutschen Weinstraße", Beiträge zur Ortsgeschichte, Seiten 109 - 113, Herausgeber: Ortsbeirat Mußbach und Fördergemeinschaft Herrenhof e.V.

ERNST OST

Die Mußbacher Mäher

Ein volkstümlicher Brauch oder gar eine Volksbelustigung? Man könnte es glauben, wenn man die Gespräche von alten Mußbachern belauscht. Aber es ist dem nicht so. Es war Jahrhunderte lang harte Fronarbeit. Die Geltwiese des Kurfürsten und die Bensenwiese des Johanniterordens waren zu mähen. Heute ist das mit den modernen Geräten Arbeit für einen einzigen Mann. Damals mussten 24 Mäher drei Tage lang die Sensen schwingen und sich abrackern.

Die einzige authentische Quelle über diese Fronarbeit und die Mähergemeinschaft ist das im Staatsarchiv zu Speyer aufbewahrte Protokollbuch über die Jahre 1747 bis 1796. Dieses »Mäherbuch« sagt aus, daß im Jahre 1607 das alte Buch erneuert wurde; das vorliegende im Jahre 1747. Über das wirkliche Alter der Mäherfron fehlt jeder Hinweis. Eine Vergleichsmöglichkeit findet sich im Haßlocher Archiv. Dort wird auch von einer Mäherfron berichtet: »Auf der Heerengart sind die Böhler und Iggelheimer schuldig, das Heu und Ohmet zu mähen und dürr zu machen und hat jeder Bürger des Tags ein Pfennig, weil aber der Schäfer etwas am Heu und das Ohmet ganz empfängt zu seinen Schafen hat er den Frönern etwas Käse und Brot mitgeteilt, ist aber keine Gerechtigkeit.« Im Jahre 1506 wurde ein Vertrag geschlossen zwischen Leiningen und Kurpfalz über die Aufteilung der Frondienste für die beiden Herrschaften der Pflege Haßloch, die auch Böhl und Iggelheim einschloß. Unsere Mußbacher Mäherfron dürfte demnach auch schon um 1500 bestanden haben.

Für die Nachwelt ist es schon ein Glücksfall, dass die Mäher ihre Gerechtigkeit, ihre Gepflogenheiten und Begebnisse aufgeschrieben haben, sonst wäre die Erinnerung daran mit der Zeit erloschen. Lehrer Schneider hat vor über 100 Jahren das Mäherbuch irgendwo im Dorf aufgestöbert und im Archiv in Sicherheit gebracht. Auch vermochte er noch viel Überliefertes aufzuzeichnen, was die Angaben des Buches näher erklärt und ergänzt.

Das Buch beginnt mit den elf Artikeln der Mähergerechtigkeit. Hierin sind die Rechte und Pflichten, Bezahlung und Verhaltensregeln genau festgelegt. Dann folgen alljährlich beim Heu- und Ohmetmachen die Namen der beteiligten Männer, ebenso die Aufzeichnungen von Vergehen und deren Bestrafung. Die letzten Eintragungen erfolgten am 17. September 1796. Nachdem im Jahre 1778 die Leibeigenschaft endete, kam mit dem Einzug der französischen Truppen im Jahre 1796 auch das Ende der Fronarbeit. Kirchliche und weltliche Herren suchten damals das Weite. Ihre Güter, und damit auch unsere bei den Wiesen, wurden vom französischen Staat konfisziert und später öffentlich versteigert zu Gunsten der Legion d'honneur. In Wirklichkeit hat Napoleon damit den Etat für seine Kriegszüge aufgebessert.

Die Mäher hatten das Recht, selbst einen Schultheiß, einen Dechenten (Vertreter), einen Pfarrer und einen Capelon (Kaplan) zu wählen. Sie konnten über alle Dinge, welche die Mäher betrafen, selbst Recht sprechen. Sie unterstanden nicht dem Oberamt Neustadt. Somit ist es vorgekommen, dass ein Anliegen an das Oberamt zurückverwiesen wurde an die eigene Rechtsbarkeit. Mitunter wurden Strafen verhängt, worüber wir heute vielleicht lachen, die aber damals recht ernst genommen wurden. Meist waren es Ahndungen wegen Übertretungen der ungeschriebenen Mäherordnung. Heute würde man derlei Strafen als Buß- oder Verwarnungsgelder ansehen. Bestraft wurde z. B., wer zu spät kam, wer fehlte, Beleidigungen, Streit, Diebstahl, Behinderungen, unsauberes Mähen, unerlaubtes Trinken, einen Amtstitel nicht nennen, Gebrauch eines unrichtigen Wortes, die Verletzung der Mäherordnung beim Probemähen, bei der Taufe, beim Rasieren, beim Vesper in der Mäherstube und beim Konsilium (Vollversammlung der Mäher). Fast alle Strafen bestanden in der Lieferung von Wein, der dann nach getaner Arbeit in der Rathaushalle getrunken wurde. Die Rathaushalle war damals noch offen. Hier wurde öffentlich Gericht gehalten, ebenso das Konsilium der Mäher. Wehe dem, der diese Gerichtsbarkeit nicht ernst nahm, z. B. den Hut auf dem Kopf behielt; der wurde eindringlich eines Besseren belehrt.

Zur Fronarbeit gehörte in früherer Zeit die Verköstigung der Fröner, auch ein Handgeld war üblich. Die Mußbacher bekamen für drei Tage Mähen auf der Geltwiese ein jeder ein Maß Wein und drei Brote von der Kurfürstlichen Kellerei in Neustadt. Die Wein- und Brotträger, welche den Wein in Neustadt abholen mussten, erhielten je 1/2 Maß Wein und zwei Brote; für das Mähen der Bensenwiese vom Schaffner des Ordens 4 Maß Wein und 2 Brote. Ob dies alles während des Mähens verzehrt wurde, ist nicht überliefert. Sicherlich gehörte ein Teil davon zur Bezahlung, die nach getaner Arbeit erfolgte. Vom Orden erhielten sie 2 Malter Korn, 2 Gulden und 1 Schilling; vom Haus Winzingen je 1 Maß Wein und 4 Brote. Dieser Wein nach dem Mähen hieß man den »Krantzwein« und musste wiederum in Neustadt abgeholt werden. Also bekam ein jeder 6 Maß Wein, das sind 12 Liter, und 10 Brote. Nach dem Brotrnaß an der Kirche zu Dörrenbach, Nußdorf und andernorts, sollte ein Brot von der Hüfte bis zur Achsel reichen oder so groß wie ein Pflugrad sein. Mithin war die Bezahlung in Brot doch recht beachtlich. Die üblichen Weinsorten waren nach Aufzeichnungen von Philipp Bronner damals »albig« (Eibe) und Riesling. Nach dem Jahre 1800 wandelte sich der Zeitgeschmack. Man wechselte über zu Traminer und Sylvaner. Über die Verteilung wurde sehr genau gewacht. Das Weinfaß durfte nur angezapft werden, wenn alle versammelt waren, so dass jeder seinen gerechten Anteil bekam. Beim Gelde ging es besonders genau zu. Es musste bis auf den letzten Kreuzer stimmen. Im Jahre 1750 wurde der Mäherschulz wegen Untreue seines Amtes enthoben. Er hatte Geld für sich »genommen«.

Zum Vergleich einige Zahlen aus der damaligen Zeit: Das Faß Wein kostete etwa 50 Gulden, das Malter Korn 4 Fl, ein Paar Stiefel auch 4 Fl, das Pfund Rindfleisch 4 Kreuzer. Man zahlte für ein Viertel Wingert (9,5 ar) 20 bis 40 Fl, für ein Haus 50 bis 300 Fl, für einen Mühlstein zu machen »ob groß oder klein« 1 Fl (1747 in Haardt). In den Jahren 1766 bis 1770 gab es »gänzlichen Weinmißwuchs infolg desen groß Armut und Elend«. Die Preise stiegen nach 1770 bis auf das Doppelte. Die Bezeichnung »Fl« ist die Abkürzung für »Florin«. Das deutsche Wort dafür heißt »Gulden«; es bedeutet »gülden« - aus »Gold«. Der »Florin« war eine begehrte Münze aus Florenz und in ganz Europa gebräuchlich. Die Abkürzung »Fl« hat sich in Deutschland bis 1872 erhalten, dem Jahr der Geldumstellung auf Mark und Pfennig. - Das Malter Korn war ein Hohlmaß und hatte 8 Simmern oder 36 Immel. Es entsprach 128 Litern oder zirka 90 kg Korn. Ein Fuder Wein war 8 Ohm zu je 15 Viertel, oder auch 10 Ohm zu je 12 Viertel (oft verschiedene Angaben!). Das Viertel hatte 4 Maß und das Maß 4 Schoppen, das Fuder demnach 960 Liter. Das Straffuder der Mäher war 3 Liter.

Die Flächenangaben der Geltwiese zu 48 Morgen und der Bensenwiese zu 26 Morgen beziehen sich auf die sogenannte Mannsmaht. Das ist die Fläche, die ein Mann an einem Morgen mähen kann. Wir können nicht den normalen Ackermorgen als Fläche nehmen. Er betrug bis 1720 100 Ruten, dann 160 Ruten je Morgen. DieRute maß 4,865 Meter, die Quadratrute 23,668 Quadratmeter, der Morgen also erst 23,7 ar und ab 172038 ar. Die Umstellung auf das Meterfeldmaß in Hektar und Ar erfolgte erst 1878, nach der sogenannten Metrierung. Diese Umrechnung auf die angegebene Wiesenfläche anzuwenden, ergäbe olympische Mähleistungen. Nur so erklärt sich auch das »drei malen auf die Wies gehen« und die Erwähnung von drei Wiesen in Artikel 9 der Mäherordnung, obwohl es nur zwei Wiesen waren.

Doch wenden wir uns wieder den Mähern zu. Die jungen Mäher mussten also nach dem Gebot dreimal auf die Wiese zum Mähen. Sie konnten sich dem Gebot zwar nicht entziehen; aber es war ihnen, wie auch den alten, gestattet, eine Ersatzkraft zu stellen. Treffpunkt war des Nachts um 12 Uhr (!) am Rathaus. Beim gemeinsamen Fußmarsch zur Speyerbachbrücke südlich des Ordenswaldes wurde die Sense geschultert und das Sensenblatt in einem hölzernen Köcher besonders geschützt. Hier griff man sich die jungen noch ungetauften Mäher und trug sie mit dem Kopf voran zum Taufstein auf der Brückenmitte. Antworteten sie auf die Frage: Willst du mit Wasser oder mit Wein getauft werden?, mit »Wasser«, so wurden sie kurzerhand in den Bach geworfen. Riefen sie »mit Wein«, hat man sie solange auf den Taufstein gestoßen, bis sie sich mit einer genügenden Menge Wein frei kauften.

Die Durchführung dieser Zeremonie oblag dem Parre (d. i. der Pfarrer), ausgestattet mit einem Zepter und dem Capelon (d. i. der Stellvertreter). Anschließend erfolgte das Probemähen für die jungen Mäher, die zum erstenmal dabei waren. Wer den Rüßlingstock, eine alte Weide, beim Ummähen mit der Sense berührte, wurde sogleich zu Strafwein verurteilt. Hernach begann das allgemeine Mähen. Der Schulz begann in der Mitte der Wiese, dann folgten gemäß ihrem Range der Dechent, der Parre, der Capelon, die alten und schließlich die jungen Mäher. Je weiter einer vom Schulz entfernt war, um so größer war der Radius und die Kreisfläche, die er zu mähen hatte. Das war für die Letzten eine ganz schöne Schufterei. Sie konnte allerdings gemildert werden, indem sich die jungen von den alten Mähern helfen ließen, natürlich für Wein. Hatten die Jungen das Gebot, »drei Malen auf die Wies zu gehen«, erfüllt und auch ihre Taufe bestanden, so wurden sie beim nächsten Mähen in die Reihe der Alten aufgenommen. Auch damals glaubte man, die Männlichkeit habe etwas mit dem Bartwuchs zu tun, also wurden die Jungen erst einmal rasiert. Der Scherknecht seifte sie mit einem Strohwisch ein, der Scharre (d. i. der Scherer) rasierte sie mit einem schartigen Wiesenbeil, danach hatte der Scherknecht abzuputzen. Wehe, wenn dabei »Hor« abgeschnitten wurden, gar Blut Hoß, das Einseifen oder Abputzen vergessen wurde! All diese »Vergehen« wurden mit Strafwein geahndet. Eine weinselige Zeit, damals! Man könnte neidisch werden, wenn man heute, mit einem Führerschein in der Tasche, an jene Zeit zurückdenkt. Aber wehe dem Mäher, der trunken wurde, selbst dies kostete Strafwein, gemäß Artikel 5 der Mäherordnung: »Also eine Ordnung zu halten auf das unsers Gnädigsten Herrn Fron gefördert und nicht gehindert wird.«

Die Mäherstube war ein schattiger Platz nahe der Wiese. Dort war auch der Rüßlingstock und der Dengelbaum, eine alte Eiche, unter der die Sensen nachgeschärft wurden. Hier traf man sich zur gemeinsamen Brotzeit. Alle hatten am Tisch Platz zu nehmen, auch die erschienenen Kinder der Mäher. Den Bräuten der Jungen, den »Dantzmädgern«, war dies allerdings verwehrt. Das Faß mit dem Wein wurde im Beisein aller angezapft. Die Musikanten spielten auf für ein Entgelt von den Jungen. Man vergnügte und erholte sich so von der mühseligen Arbeit. Auch dabei galten die ungeschriebenen Regeln der Mäher. Ungebührlich Benehmen, Fluchen, Streiten, Schlagen, Wein verschütten, Brot hinwerfen, Gläser mit dem Sudelwasser ausschwenken usw., dies alles hatte Strafe zur Folge. Der Büttel hatte auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Strafen wurden nach erfolgtem Konsilium (d. i. die Vollversammlung der Mäher) ausgesprochen. Die Überwachung des Strafvollzugs oblag wiederum dem Büttel. Nach der Überlieferung ging es bei der Arbeit nicht immer todernst zu; auch der Spaß kam oft nicht zu kurz. So setzten sie einmal dem Schulzen einen Blumentopf in die Maht. Autsch Sense! Im Jahre 1767 musste Philipp Mummert zur Buße dreimal um die versammelte Mannschaft hüpfen. »Weilen aber das schwere Donner und regenweder ist komen, sonsten hette er 12 mal huben missen.«

Interessant ist auch zu wissen, wohin das geerntete Heu der Bensenwiese gekommen ist. Zunächst stand es dem Kurfürsten zu bzw. seiner Vogtei. Als er aber später in Heidelberg residierte und nicht mehr auf seinem Erstbesitz, der Burg Winzingen in Haardt, gingen die Fronlieferungen dem jeweiligen »Besitzer« der Burg zu. Die Burg Winzingen samt allem Zubehör an Gütern und Fronrechten wurde erstmals 1464 an Ulrich Steinhauser (auch vom Steinten Haus genannt) zu Lehen gegeben. 1473 erfolgte die nächste Übergabe an seinen Marschall Ritter Engelhart von Neiperg auf Lebenszeit. Hierüber gibt es eine Urkunde, worin die »Wiss uff der Bintzen« erwähnt ist mit einer Heuernte, die in Hand- und Spannfrönern an die Vogtei in Haardt zu liefern war. Die Lehen mit Angabe »Bintzenwieß« gingen dann so weiter bis zur Zerstörung der Burg im Jahre 1689. Vermutlich ist die Burg 1772 in Privathände übergegangen; die Vogtei erst 1796 aufgehoben worden. Aus den vielen Lehen der Burg wird sicher auch der eine oder andere Grundherr in Mußbach zu erklären sein. Gemäß der Urkunde von 1473 stellt sich für uns die Frage: Seit wann wurde die »Wis« überhaupt gemäht? Die spärlichen Überlieferungen des frühen Mittelalters geben uns darüber leider keinerlei Aufklärung. Seien wir froh und dankbar, immerhin 323 Jahre Mähergeschichte belegen zu können.

Die letzten Strafen wurden am 6. Juli 1789 in das Mäherbuch eingetragen. Acht Tage später, am 14. Juli 1789, erfolgte in Paris der Sturm auf die Bastille. In Frankreich hatte der politische Umbruch begonnen. Bald schlugen seine Wellen auch in die Pfalz nach Mußbach. Man erlebte hautnah, dass eine Ära zu Ende ging. Es wurden weiterhin nur noch die Namen der Mäher aufgeschrieben, bis 1796 die große Wende kam und damit auch das Ende jahrhundertelanger Fronarbeit.

Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung hat zur Erinnerung an die Mäher am Weg zum alten Mußbacher Wasserwerk einen Mäherplatz neu geschaffen. Auf einem großen Findling und auf alten Faßlagersteinen wurde das Protokoll von 1747 in Originalschrift eingeschlagen. Damit wäre die ganze Mähersache eigentlich abgeschlossen, wäre da nicht noch etwas Seltsames zu berichten. Bei der Flurbereinigung im Jahre 1978 stiftete Ludwig Schwenck der Teilnehmergemeinschaft einen alten Grabstein zur Aufstellung als Flurdenkmal. Bei der Bearbeitung des Mäherbuches ergab sich jetzt nach eingehenden Recherchen, dass dies der Grabstein des in hohem Alter verstorbenen letzten Wein- und Brotträgers Ludwig Schwenck gewesen war. Mit dessen Namen schließt das Mäherbuch. So mag mit diesem Steim am Ende des Wäldchenweges eine greifbare Erinnerung erhalten bleiben an wenigstens einen der alten Mußbacher Mäher.